Volker Saul | Dr. Michael Krajewski, 2007
Graphisch und signalhaft treten Volker Sauls Wandkompositionen und Papierarbeiten auf, formal reduziert und dennoch gesteigert assoziativ: Linien gleicher Stärke umkreisen Terrains, schließen Flächen ein, fügen sich zu heterogenen Gebilden, die sich nicht einfach narrativ entschlüsseln lassen und gerade daher die Phantasie des Betrachters in Gang setzen. Unsere Sehgewohnheiten, geschult an der modernen Alltagsästhetik von Werbung bis zum Comic-Strip, sind unmittelbar bestrebt, Sauls graphische Elemente in Bedeutung aufzulösen: die Konglomerate von nahezu in technischer Perfektion gesetzten Linien als vegetabile oder organische Komplexe zu lesen, in der abstrakten Binnenstruktur visuelle Modelle zu entdecken. Die sinnliche Qualität der Kompositionen wird somit unterstrichen von der Spannung zwischen Repräsentation – von Realitätspartikeln? – und ihrem modellhaften Charakter. Sie präsentieren sich somit nicht als Darstellung, sondern sind unmittelbar erfahrbar und keiner Ordnung unterworfen.
Denn tatsächlich verdanken sich Sauls Figurationen keinem mimetischen Vorgehen, das sich um das Abbilden oder Abstrahieren von Realität bemüht, sondern treiben eine eigenkünstlerische Praxis vorwärts. Bekanntlich verbindet sich mit der Künstlerzeichnung das Versprechen, am kreativen Prozeß, beim Zeichnen und Schreiben, nachempfindend teilzuhaben. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Saul mit der Linie als verlängertem Ausdruck der Motorik der Hand. Die Gleichförmigkeit von Linienbreite, -struktur und -farbe entsteht aufgrund eines einfachen Vorgangs: Der Künstler zieht Farbtuben mit der Öffnung konzentriert und langsam über das Blatt. Im Spannungsfeld von Improvisation und Beschränkung hat er über Jahre gezielt ein Zeichenvokabular entwickelt, das es ihm gestattet, systematisch das formal reiche Potential der Linie bei reduzierter Variationsmöglichkeit – gleichförmiger Breite, gleichförmiger Bewegung, gleicher Farbigkeit – zu erforschen.
Dieses durchaus lustvolle Kunstwollen in der Zeichnung übertrug er auch in die manifeste Skulptur – und schließlich monumentalisiert auf die Wand. Die siegelhaften, symbolartigen und ikonischen Kürzel erhalten damit eine neue Dimension, die sie auch inhaltlich prägt: Signalhaft und physischer einbeziehend, als es jedes Blatt vermag, wird die ursprünglich spontane Setzung zum monumentalen Ereignis und zum integralen Bestandteil des Betrachterraums.